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Stadt zur Klage gegen WestLB entschlossen

17.10.2011

Grobe Beratungsfehler bei Zinssicherungsverträgen; hunderte Kommunen bundesweit betroffen

Wer Schulden hat und Darlehen aufnehmen muss, der muss sich die günstigsten Zinsen sichern, um die Belastung in Grenzen zu halten. Das gilt nicht nur für Privatleute, sondern erst recht für Städte und Gemeinden. Diese sind zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung sogar von Gesetzes wegen verpflichtet. Bei einem Schuldenstand der Stadt Kamp-Lintfort von ca. 37 Mio. € und Zinslasten von jährlich ca. 1,4 Mio. € (2010) ist dabei ein verantwortungsvolles Management des Kämmerers gefragt und seit Jahren selbstverständlich.

Zinsderivate von Finanzaufsicht und Gemeindeprüfungsanstalt des Landes empfohlen

Zu einem solchen Schuldenmanagement gehört seit Langem auch der Einsatz von so genannten Zinsderivaten. Diese Derivate in der Form so genannter Zins-Swap-Geschäfte als eigenständige Geschäfte haben das Ziel, die Zinsaufwendungen für bestehende Kreditgeschäfte zu senken. Sie wurden sogar von der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (GPA) zur Senkung der Zinsbelastung empfohlen. In Berichten der GPA der überörtlichen Prüfungen wurden ein "aktives Zinsmanagement" sowie der Abschluss von Zins-Swap-Geschäften positiv bewertet und angeregt, internationale Zins- und Währungsderivate nach Prüfung in Betracht zu ziehen! Kraft Erlasses des Innenministeriums, der obersten Finanzaufsicht des Landes, sind Fremdwährungsgeschäfte ausdrücklich zugelassen.

Faules Ei ins Nest gelegt. Ein Vertrag von sechsen ist risikobehaftet. Bank verdient am Scheitern ihrer eigenen Prognose zu Lasten der Stadt

Vor diesem Hintergrund hat sich die Kämmerei durch Vermittlung der Sparkasse von der WestLB als der zuständigen Verbundpartnerin der kommunalen Sparkassen des Landes eingehend beraten lassen. Im Ergebnis hat die Stadt seit 2005 insgesamt sechs Zins-Swap-Verträge geschlossen. Allerdings ist erst im Nachhinein deutlich geworden, dass es sich um sehr unterschiedliche Vertragsgestaltungen handelt, was bei Vertragsschluss verschleiert wurde. Bei Zins-Swap-Geschäften unterscheidet man nämlich - wie heute klar ist - zwei Arten: Zinssicherungs- und Zinsoptimierungsgeschäfte. Während Zinssicherungsgeschäfte lediglich die (Ab-) Sicherung eines bestimmten Zinssatzes zum Ziel haben und insofern eher risikoarme Geschäfte sind, machen Zinsoptimierungsgeschäfte eine bestimmte, ungewisse Zinsentwicklung zur Vertragsgrundlage und haben die Senkung von Zinsaufwendungen zum Ziel. Wegen dieses Spekulationscharakters zählen sie zu den risikobehafteten Geschäften.

Nach einem aktuellen BGH-Urteil vom März dieses Jahres in einem ähnlich gelagerten Fall hätten die Bankberater der Stadt einen solchen Vertrag überhaupt nicht vorschlagen dürfen. Zumindest hätten sie bei Vertragsschluss speziell über diesen Spekulationscharakter, über das Maß des möglichen Risikos und über ihre eigene Interessenkollision, die darin besteht, dass die Bank beim Scheitern ihrer eigenen Prognose zu Lasten der Kommune selbst am meisten verdient, aufklären müssen. "Im Nachhinein müssen wir feststellen, dass eine seriöse Beratung und eine umfassende Aufklärung nicht erfolgt ist," meint Daniel Hähnel als Vertreter des Kämmerers. "Da hat man uns ein faules Ei ins Nest gelegt. Wir fühlen uns getäuscht."

Konkret bedeutet dies: Während fünf Verträge als sogenannte Zinssicherungsverträge problemlos sind, erweist sich der sechste heute als risikobehaftet, weil als Maßstab für die Höhe des Zinssatzes der Umtauschkurs der Schweizer Franken im Verhältnis zum Euro genommen wurde. Bewegt sich der Umtauschkurs oberhalb einer bestimmten vorher definierten Bandbreite, reduziert sich die Zinslast, fällt er unterhalb dieser Bandbreite, muss die Stadt Geld an den Vertragspartner zahlen, wie es aktuell der Fall wäre, nämlich 180.000 € pro Quartal. Je tiefer der Kurs fällt, umso so größer wäre der Schaden. Ein Verkauf des Derivats kommt derzeit bei einem negativen Marktwert von 4.007.000 € nicht in Frage.

In der Vergangenheit konnte der Zinsaufwand aufgrund der eingesetzten Derivate tatsächlich im Verhältnis zu den Kreditgeschäften gesenkt werden, was dem Haushalt der Stadt zu Gute kam und was dem Rat auch berichtet wurde. Zur Zeit ergibt sich ein noch positiver Saldo in Höhe von ca. 400.000 Euro. Dieser würde allerdings bei der derzeitigen Entwicklung in Zukunft ins Negative umschlagen. Der Grund hierfür liegt in der allseits bekannten finanzpolitischen Situation.

Ca. 50 Städte und Gemeinden in NRW planen gemeinsames Vorgehen gegen WestLB

Kamp-Lintfort befindet sich nicht alleine in dieser Situation. Bürgermeister Dr. Christoph Landscheidt hat in seiner Eigenschaft als Präsidiumsmitglied beim Städte- und Gemeindebund NRW eine Umfrage und einen Erfahrungsaustausch zum Umgang mit Derivatgeschäften initiiert. Das Treffen fand am 12. Oktober in Hattingen statt. Nach derzeitigen Erkenntnissen sind bundesweit hunderte von Kommunen betroffen, außerhalb von NRW freilich nicht alles Kunden der WestLB, sondern auch anderer Banken. Alleine im Bereich des Städte- und Gemeindebundes NRW haben sich ca. 50 Städte bereits gemeldet. Tatsächlich betroffen sein dürften jedoch deutlich mehr. Das vermutete Potenzial der kommunalen Zinsgeschäfte liegt im dreistelligen Millionenbereich.

Die Beurteilung der Rechtslage namhafter Fachanwälte, die der Städte- und Gemeindebund zu Rate gezogen hat, stellt sich aus heutiger Sicht so dar:

Den beteiligten Banken sind gravierende Beratungsfehler vorzuwerfen (Spekulationsverbot, Interessenkollision, fehlende Aufklärung, ggf. arglistige Täuschung). Auch wenn im Einzelfall Beweis- und Verjährungsfragen zu klären sind, werden die Erfolgsaussichten des Klageweges grundsätzlich als positiv eingeschätzt. Allerdings ist der Stand der Verfahren in den einzelnen Städten unterschiedlich:

Einige Städte und Kommunen haben bereits Klagen eingereicht, andere sind noch in der Prüfungsphase.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Stadt Kamp-Lintfort zur Klage gegen die WestLB entschlossen. Bürgermeister Dr. Landscheidt: "Zur Klage gibt es aus juristischen und politischen Gründen eigentlich keine Alternative. Zum einen sehen wir durchaus gute Erfolgsaussichten vor Gericht, zum anderen gehen wir davon aus, dass massenhafte Klagen der Städte und Gemeinden die Verhandlungs- und Vergleichsbereitschaft der WestLB, die zur Zeit leider nicht gegeben ist, fördern werden. Schließlich soll dieser Teil der WestLB, mit dem wir es hier zu tun haben, im Rahmen der Restrukturierung demnächst ausgegliedert werden und will als Verbundbank auch in Zukunft noch Partner der kommunalen Familie bleiben."

(Presseinformation der Stadt Kamp-Lintfort vom 17.10.2011, www.kamp-lintfort.de)